Eine juristisch interessante Rechtsfigur, die mir im Rahmen meiner Tätigkeit als Zivilrechts- und Prozessanwalt in letzter Zeit gehäuft begegnet, ist jene des „falsus procurators“ (= Scheinvertreter oder auch lat. wörtlich: „falscher Vertreter“).
Prinzipiell handelt jeder Mensch für sich selbst: Jeder muss sich sein (rechtsgeschäftliches) Verhalten zurechnen lassen. So bindet beispielsweise ein zwischen A und B abgeschlossener Kaufvertrag nur die beiden Vertragsparteien A und B.
Im geschäftlichen Verkehr ist es jedoch gängige Praxis, dass das Rechtsgeschäft nicht zwischen A und B direkt abgeschlossen wird, sondern eine der beiden Vertragsparteien sich eines Stellvertreters, eines „procurators“ bedient (Bevollmächtigungsvertrag; § 1002 ABGB)
Handelt sohin etwa C wirksam stellvertretend für den A, so werden die vom C gegenüber dem B abgegebenen Willenserklärung dem A „zugerechnet“ (§ 1017 ABGB).
Voraussetzungen dafür sind
- die Geschäftsfähigkeit des Stellvertreters (C)
- die vom Vertretenen (A) dem Stellvertreter (C) eingeräumte Vertretungsmacht
- das Handeln „im Namen“ des Vertretenen (A), also die Offenlegung der Stellvertretung gegenüber dem Vertragspartner (B)
In dem Fall, dass jemand in fremden Namen handelt, ohne jedoch im Innenverhältnis (ausreichend) vertretungsbefugt zu sein, ist er ein Scheinvertreter, ein „falsus procurator“ im Sinne des § 1016 ABGB.
Scheinvertretung liegt jedoch nicht nur dann vor, wenn der angebliche Stellvertreter (C) überhaupt nicht befugt ist, sondern auch dann, wenn er die Grenzen seiner Vertretungsmacht überschreitet. Ein ohne (ausreichende) Vertretungsbefugnis gesetzter Geschäftsakt ist zwar unwirksam, jedoch haftet der Stellvertreter (C) gegenüber dem Dritten (B) für den verursachten Schaden, sohin für alle Nachteile, die nicht eingetreten wären, wenn sich der Dritte (C) nicht auf das gültige Zustandekommen des Geschäftes eingerichtet hätte. Die Haftung bezieht sich auf Schäden, die dem Dritten (B) aufgrund seines enttäuschten Vertrauens entstanden sind (Vertrauensinteresse).
Ein fiktiver Fall:
A beauftragt und bevollmächtigt den Autohändler C mit dem Verkauf eines Kraftfahrzeuges. Im Innenverhältnis A-C wird vereinbart, dass das Fahrzeug an einen Dritten nur unter Ausschluss der Gewährleistung verkauft werden darf.
Der Käufer B betritt das Autohaus des C und interessiert sich für das Fahrzeug. Um bessere Verkaufschancen zu haben und um einen höheren Verkaufspreis zu lukrieren, sichert der C dem B gegenüber ausdrücklich zu, dass die Gewährleistung nicht ausgeschlossen wird; er überschreitet sohin den im Innenverhältnis A-C einst vereinbarten Auftrag und sohin auch die ihm eingeräumte Vertretungsmacht.
Die Folge: Die zwischen den C und dem B getroffene Gewährleistungsvereinbarung bindet den A nicht; es kommt zu einer Haftung des C gegenüber dem B.
In der Praxis offenbaren sich derartige (meist auch abenteuerliche) Sachverhaltskonstellationen oft erst im fortgeschrittenen Stadium des Zivilprozesses. Zumeist hat B den eigentlichen Geschäftspartner A geklagt und behängt bereits ein Gerichtsverfahren A-B (B hätte richtigerweise jedoch den C klagen müssen). Dieses Problem wird prozesstechnisch damit gelöst, dass B dem C gem § 21 ZPO den Streit verkündet und ihn auffordert, dem bereits anhängigen Gerichtsverfahren A-B auf seiner Seite als Nebenintervenient beizutreten.
Die Streitverkündung hat zur Folge, dass das im Prozess A-B ergehende Urteil auch gegenüber dem C Wirkung entfaltet (vgl 1 Ob 2123/96d, JBl 1997, 368). Für den Fall, dass im Hauptprozess A-B der B unterliegt, kann dieser sich in der Folge bei C regressieren, welcher sich inhaltlich das Haupturteil gefallen lassen muss.
(Die „Scheinvertretung“ bzw. das „Handeln in fremden Namen“ muss man selbstverständlich streng vom „Handeln unter fremden Namen“ unterscheiden)
Sohin insgesamt etwas knifflig. Aber gerade derartige Lebenssachverhalte machen das Zivilrecht so interessant und abwechslungsreich. Im aktuellen Fall regressiert sich der von meiner Kanzlei vertretene B gerade bei C in einem Folgeprozess im Rahmen der schadenersatzrechtlichen Bestimmungen.
Mag. Robert Rieger, Rechtsanwalt für Zivilrecht
Nützliche Links:
https://www.uibk.ac.at/zivilverfahren/publikationen/publ-trenker/oejz_intervention.pdf