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Zivilrecht: Verkürzung über die Hälfte

Anwalt in Wels

Grundsätzlich räumt die Privatrechtsordnung dem Einzelnen weitgehend die Möglichkeit ein, seine rechtlichen Beziehungen zur Umwelt nach seinem eigenen Willen frei zu gestalten (Grundsatz der Privatautonomie). Es kann sohin prinzipiell jeder frei darüber entscheiden, ob er einen Vertrag abschließen will, mit wem und mit welchem Inhalt.

Der Gesetzgeber schränkt die Privatautonomie jedoch in Extremfällen ein, so etwa bei Vorliegen von Zwangslagen, einem enormen Informationsgefälle oder aber eben bei besonders krasser Inäquivalenz von Leistung und Gegenleistung zugunsten des „übervorteilten“ Vertragspartners.

Neben den Regelungen über den Wucher (§ 879 Abs 2 Z 4 ABGB) ist die Verkürzung über die Hälfte (§ 934 ABGB) der häufigste Anwendungsfall dieser zivilrechtlichen Schutzmechanismen.

 „Hat bei zweiseitig verbindlichen Geschäften ein Teil nicht einmal die Hälfte dessen, was er dem andern gegeben hat, von diesem an dem gemeinen Wert erhalten, so räumt das Gesetz dem verletzten Teil das Recht ein, die Aufhebung, und die Herstellung in den vorigen Stand zu fordern. Dem andern Teil steht aber bevor, das Geschäft dadurch aufrecht zu erhalten, dass er den Abgang bis zum gemeinen Wert zu ersetzen bereit ist. Das Missverhältnis des Wertes wird nach dem Zeitpunkt des geschlossenen Geschäftes bestimmt.“ (§ 934 ABGB)

Die Bestimmung des § 934 ABGB möchte ein allzu gravierendes Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung verhindern. In dem Fall, dass der Wert der Leistung des einen Vertragspartners nicht einmal die Hälfte des objektiven Wertes der Gegenleistung beträgt, so steht dem Verkürzten das (einseitige) Gestaltungsrecht zu, den Vertrag anzufechten, folglich dieser rückwirkend aufzuheben ist.

Um einen Vertrag aus dem Rechtsinstitut der laesio enormis erfolgreich anzufechten, müssen vier Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sein:

  1. Zum einen muss es sich um ein zweiseitig verbindliches Rechtsgeschäft handeln. Eine Anfechtung ist sohin bei entgeltlichen Rechtsgeschäften, beispielsweise bei Kaufverträgen, Werkverträgen, Mietverträgen oder Tauschverträgen, aber auch beim entgeltlichen Verzicht oder bei Gesellschaftsverträgen möglich. Keine Anwendungsfälle sind etwa der Vergleich (§ 1386 ABGB) und Verträge mit einem aleatorischen Charakter, z.B. Glücksverträge inkl Leibrentenverträge und Übergabeverträge (§ 1268 ABGB). Bei letztwilligen Verfügungen und Schenkungsverträgen handelt es sich um unentgeltliche Verträge, sohin auch hier eine Anfechtung nach § 934 ABGB nicht möglich ist.
  2. Ebenfalls muss eine Verkürzung über die Hälfte vorliegen. Dieses Erfordernis gilt als erfüllt, wenn die eigene Leistung und die Gegenleistung zueinander in einem Wertverhältnis von zumindest 49,9:100 stehen (ein Wertmissverhältnis von 50: 100 ist indes nicht ausreichend). Eine Verkürzung liegt also vor, wenn der Verkürzte weniger als die Hälfte des gemeinen Wertes der eigenen Leistung vom Vertragspartner als Gegenleistung erhält.
  3. Zu prüfen ist zudem, ob das Wertmissverhältnis im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vorgelegen ist; spätere Wertveränderungen der betreffenden Sache(n) bleiben unberücksichtigt. Hier wird stets am objektiven Wert jener Leistungen angeknüpft, deren Austausch die Vertragsparteien bei Vertragsabschluss faktisch vor Augen hatten und die sie wechselseitig tauschen wollten. Nicht von Relevanz ist, ob die vertraglich bedungenen Eigenschaften erfüllt wurden oder nicht (was schließlich eine Problematik der Gewährleistung nach § 933 ABGB wäre)
  4. Macht der verkürzte Vertragspartner von der laesio enormis Gebrauch, hat der verkürzende Teil die facultas alternativa. Er kann die Vertragsaufhebung dadurch abwenden, dass er dem Verkürztem die Differenz zwischen dem gemeinen Wert der von ihm und er vom Verkürzten erbrachten Leistung erbringt.  Wenn der Verkürzende seine Aufzahlungsbefugnis erfüllt, so ist eine Anfechtung im Sinne des § 934 ABGB nicht mehr möglich.
  5. Es darf kein Ausnahmetatbestand des § 935 ABGB vorliegen:
  • Der Verkürzte darf im Zeitpunkt des Vertragsschlusses keine tatsächliche Kenntnis vom Wertmissverhältnis gehabt haben.
  • Es darf sich nicht um eine gemischte Schenkung handeln.
  • Der gemeine Wert muss feststellbar sein.
  • Die Sache darf nicht im Zuge einer gerichtlichen Versteigerung erworben worden sein.
  • Der Verkürzte darf nicht erklärt haben, dass er die Sache aus besonderer Vorliebe zum außerordentlichen Wert gekauft hat.

Auf das Rechtmittel der laesio enormis kann vom Konsumenten im Vorhinein nicht verzichtet werden (§ 935 ABGB), im beiderseitigen Unternehmensgeschäft kann sie jedoch vertraglich ausgeschlossen werden (§ 351 UGB). Es gilt die Verjährungsfrist in der Dauer von drei Jahren ab Vertragsabschluss (§ 1487 ABGB), wobei die laesio enormis innerhalb dieser Frist gerichtlich geltend gemacht werden muss.

Die Anfechtung gem § 934 ABGB wirkt schuldrechtlich ex tunc, sachenrechtlich ex nunc. Dies bedeutet, dass im Falle einer erfolgreichen Anfechtung zwar der Vertrag rückwirkend aufgehoben wird, die Rückabwicklung jedoch in einem weiteren Schritt nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen erfolgt.

Mag. Robert Rieger, Rechtsanwalt in Wels für Zivilrecht und Strafrecht

weiterführende Links:

https://www.usp.gv.at/lexikon/laesio-enormis.html

https://unipub.uni-graz.at/obvugrhs/content/titleinfo/239797

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