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Strafrecht: auch Unterlassen kann strafbar sein

§ 95 StGB Unterlassene Hilfeleistung

Die überwiegende Anzahl der Strafdelikte setzt ein aktives Tun voraus. So begeht derjenige, der einen anderen am Körper verletzt eine Körperverletzung iSd § 83 StGB und ist derjenige, der sich ein ihm anvertrautes Gut mit dem Vorsatz aneignet, sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern, nach § 133 StGB (Veruntreuung) zu bestrafen.

Nur ausnahmsweise kann sich ein Täter auch durch ein rein passives Verhalten strafbar machen. Man spricht hier von sogenannten „echten Unterlassungsdelikten“, wobei jene des § 94 StGB (Imstichlassen eines Verletzten) und § 95 StGB (unterlassene Hilfeleistung) in der Praxis am häufigsten auftreten.

So verwirklicht ein Täter den Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung des § 95 StGB, wenn er „es bei einem Unglücksfall oder einer Gemeingefahr (§ 176 StGB) unterläßt, die zur Rettung eines Menschen aus der Gefahr des Todes oder einer beträchtlichen Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung offensichtlich erforderliche Hilfe zu leisten“ und ist er „mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen, wenn die Unterlassung der Hilfeleistung jedoch den Tod eines Menschen zur Folge hat, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen zu bestrafen, es sei denn, dass die Hilfeleistung dem Täter nicht zuzumuten ist. Die Hilfeleistung ist insbesondere dann nicht zuzumuten, wenn sie nur unter Gefahr für Leib oder Leben oder unter Verletzung anderer ins Gewicht fallender Interessen möglich wäre.“

Zumal es sich bei der Bestimmung des § 95 StGB um ein echtes Unterlassungsdelikt handelt, verwirklicht der Täter – ohne nähere Kausalitätsprüfung – bereits durch sein bloßes Untätigsein das Grunddelikt und ist er mit einer Freiheitsstrafe in der Dauer von bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.

Bei der Qualifikation mit dem Tod ist jedoch zu prüfen, welche Auswirkungen es auf den Erfolg gehabt hätte, wenn die Handlung hinzugedacht würde, welche man vom Täter zur Erfolgsabwendung erwartet hätte. Es muss daher mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass der Taterfolg, also der Tod des Menschen, bei einem Tätigwerden des Unterlassungstäters nicht eingetreten wäre.

In der Praxis bedient sich das Gericht zur Klärung dieser Frage eines (gerichts-)medizinischen Sachverständigen. Dieser hat aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung ein Gutachten zu erstellen, ob der Tod durch ein aktives Handeln (beispielsweise durch das rechtzeitige Herbeirufen der Rettungskräfte) vermeidbar gewesen wäre.

Kommt der Mediziner in seinem Gutachten also zum Schluss, dass durch das Leisten der erforderlichen Hilfe der Tod vermeidbar gewesen wäre, so wurde vom Täter ebenfalls die Qualifikation des Tatbestandes verwirklicht und erhöht sich der Strafrahmen bei einer Freiheitsstrafe auf bis zu einem Jahr bzw. die Geldstrafe bis zu 720 Tagessätze. Kann der Sachverständige anhand der ihm vorliegenden Krankengeschichte und den Informationen jedoch nicht (mehr) genau feststellen, ob der Tod auch mit der erforderlichen Hilfeleistung vermeidbar war, und bestehen in diesem Punkt Bedenken, so muss im Zweifel für den Angeklagten ein Freispruch erfolgen.

Gerichtlichen Sachverständigen kommen sohin auch im Strafrecht eine wichtige Rolle zu. Ihnen obliegt es in Ihren Gerichtsgutachten jenes Tatsachensubstrat zu erzeugen, auf dessen Basis der erkennende Richter zu seiner Entscheidung gelangt.

Mag. Robert Rieger, Rechtsanwalt in Wels für Strafrecht

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